In der neonazistischen Szene Berlins gibt seit wenigen Jahren eine einzige Struktur den Ton an, die Partei „Der III. Weg“. Die letzte ausführliche Bestandsaufnahme zur ihren lokalen Strukturen fand 2018 statt und trifft so heute in Teilen nicht mehr zu. Aus dem Grund wollen wir in diesem Text einführend erläutern, woher die Struktur kommt, wie sie agiert und welcher ideologische Unterbau zum Tragen kommt. Dies ist keine vollständige Abhandlung und einzelne Punkte werden in künftigen Veröffentlichungen vertieft.
Historie
Als 2013 in Heidelberg die Partei „Der III. Weg“ gegründet wurde, befand sich die Berliner Naziszene in einem Umbruch. Das seit Jahren tonangebende Netzwerk „Nationaler Widerstand Berlin“ (NW Berlin) war durch die Abschaltung der zentralen Internetseite, sowie durch langjährige antifaschistische Gegenwehr geschwächt. In der anschließenden Phase der Neuorientierung wechselten viele militante Nazis in den Berliner Kreisverband der NPD oder bauten andere Strukturen wie den lokalen Kreisverband von Die RECHTE auf. Auch die Autonomen Nationalisten erfreuten sich mit der Struktur „Antikapitalistisches Kollektiv Berlin/Brandenburg“ (AKK) für eine kurze Zeit wieder steigender Beliebtheit. Mit den rassistischen Mobilisierungen und dem daraus entstandenen Rechtsruck in Teilen der Gesellschaft konnten bewegungsorientierte Nazis außerdem zur selben Zeit einige Erfolge erzielen.
Doch keine der genannten Strukturen ist heute noch relevant. Die NPD ist aufgrund interner Probleme, der Abwanderung von Führungspersonal und dem Druck durch ein lange Zeit befürchtetes Verbot nur noch ein Schatten ihrer selbst. Die Autonomen Nationalisten sind als politische Strömung nicht mehr erkennbar und die rassistischen Mobilisierungen gegen Geflüchtete nutzten vor allem der Etablierung der AfD, während klassische Naziorganisationen verschwanden. Die entstandene Lücke in der militanten Naziszene nutzte anschließend die Partei der III. Weg und wurde zur tonangebenden Struktur der klassischen Naziszene in Berlin.
Die ersten Gehversuche der Partei in der Hauptstadt ließen sich 2015 beobachten. Die Parteimitglieder der ersten Stunde waren vorher bei dem zu dieser Zeit im Niedergang befindlichen AKK organisiert oder vormals im Netzwerk des NW Berlin beheimatet. Im gleichen Jahr erfolgt dann auch die Gründung des Stützpunktes des dritten Wegs in Berlin. Die zu diesem Zeitpunkt noch sehr instabile Berliner Struktur profitierte stark von der Brandenburger Struktur rund um den heutigen Bundesvorsitzenden des III. Wegs Matthias Fischer. Fischer war bereits Führungsfigur des „Freien Netz Süd“, welches den III. Weg in Bayern aufbaute. Durch Fischers Umzug in die Uckermark hilft seit Jahren einer der fähigsten Kader der Partei dem Berliner Stützpunkt beim Aufbau der Parteistruktur.
Die ersten Jahre des III. Wegs in Berlin waren holprig und von stetigem personellen Wechsel geprägt. Von den mutmaßlichen Gründungsmitgliedern tritt heute niemand mehr öffentlich für den Berliner Stützpunkt auf. Ab 2017 ließ sich ein Aufschwung für die Partei feststellen. Wichtiger Grund dafür war der heutige Stützpunktleiter Oliver Oeltze. Er trat ab 2016 für die Partei in Erscheinung und fehlte seitdem nur selten auf deren Veranstaltungen. In diesem Zeitraum schlossen sich viele altgediente Akteure aus dem NW Berlin dem Berliner Stützpunkt an, während die früher beim AKK organisierten Nazis aus der Partei zusehends verschwanden.
Eine wichtige Bewährungsprobe für die Berliner Struktur war der bundesweit mobilisierte Aufmarsch vom III. Weg in Berlin-Hohenschönhausen 2020. Da die traditionelle 1. Mai Demo der Partei wegen dem Ausbruch des Coronavirus ausfallen musste, wurde der Tag der Deutschen Einheit am dritten Oktober als Ersatztermin festgemacht. Es war der erste Aufmarsch vom III. Weg, der in einer Großstadt mit einer starken linken Szene stattfand. Die 300 angereisten Nazis konnten aufgrund von antifaschistischen Blockaden und militantem Gegenprotest nur eine stark verkürzte Route laufen. Zwar war dieser Aufmarsch intern sicherlich kein großer Erfolg, doch er verdeutlicht, dass der Berliner Stützpunkt sich stabilisieren konnte.
Das Jahr 2021 stellte einen weiteren Meilenstein für den III. Weg dar. In diesem Jahr mündete die Annäherung an die Nazi-Jugendgruppe „Division MOL“ aus Märkisch-Oderland in die Gründung einer Jugendgruppe des III. Wegs. Mittlerweile nennt sich die Jugendstruktur „Nationalrevolutionäre Jugend Berlin-Brandenburg“ (NRJ). Vor dieser Entwicklung war der III. Weg beinahe ausschließlich ein Auffangbecken für altgediente Nazis in ihren späten Dreißigern. Durch die neue Parteijugend konnten die erfahrenen Kader ihr Wissen weitergeben und der Stützpunkt konnte mit neuen sehr aktionistischen Mitgliedern mehr bewegen. In den beiden folgenden Jahren wurde die neu gewonene Kraft der Partei deutlich. Der III. Weg wurde die mit Abstand aktivste klassische Naziorganisation der Hauptstadt. Die Partei beteiligte sich an Coronaprotesten, zeigte auf dem eigenen Telegramkanal regelmäßig interne Treffen und die Parteijugend fiel durch provokative Aktionen und Angriffe auf politische Gegner*innen und autonome Zentren auf.
Strategie
Wichtige Unterscheidungsmerkmale zwischen dem III. Weg und vielen anderen Neonazistrukturen in der BRD sind der hohe Organisationsgrad und die Verbindlichkeit, welche die Partei von ihren Mitgliedern verlangt. Organisationen mit solchen Ansprüchen verfügen in der Regel über ausgearbeitete Strategien, die Entwicklungsschritte für die nächsten Jahre beschreiben. Auch wenn solche Pläne bislang nicht bekannt sind, ist es wahrscheinlich, dass der Berliner Stützpunkt sich über Jahresziele und Meilensteine für die regionale Arbeit Gedanken macht. Dementsprechend muss davon ausgegangen werden, dass der III. Weg in Berlin zumindest grobe strategische Vorgehensweisen erarbeitet hat.
Der offensichtliche Schwerpunkt der Partei liegt momentan auf der Jugendarbeit, also einem konsequenten Ausbau der NRJ. Zielgruppe sind „Jungs und Mädels, die aktiv für ihre Region und Heimat werden möchten und eine starke Gemeinschaft suchen“. Für den III. Weg sind demnach junge Menschen besonders interessant, die einen starken Bezug zu Heimat und Nation haben, sowie entweder bereits Teil völkischer Familienstrukturen sind oder eine Ersatzfamilie suchen. Es ist dementsprechend kein Zufall, dass die NRJ Berlin/Brandenburg maßgeblich von jungen Nazis aus rechten Elternhäusern gegründet wurde.
Als Gründe für die Suche nach einer starken Gemeinschaft werden Perspektivlosigkeit, totaler Individualismus, Ausgrenzung, Vereinsamung und Konsumdruck genannt. Die Partei greift damit die weitverbreitete, durch die neoliberale Politik der letzten Jahrzehnte gewachsene, soziale Vereinzelung von jungen Menschen auf. Der Ellbogengesellschaft wird eine Gemeinschaft entgegengesetzt, die sich durch Volk und Heimat definiert. Die Jugendlichen erleben in der NRJ eine Vielzahl an Gruppenaktivitäten wie Wanderungen, Parteifeiern und durch ältere Mitglieder vorbereitete interne Schulungen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit stehen bei Interessent*innen die Gruppenaktivitäten in der ersten Zeit im Vordergrund und Schritt für Schritt erfolgt die ideologische Festigung im Sinne der Partei.
Ein verbindendes Element zwischen der NRJ und den älteren Kadern ist der Kampfsport. Dieser und die damit verbundene Wehrhaftigkeit der Parteimitglieder ist neben der Jugendarbeit ein Schwerpunkt des Berliner Stützpunktes. In der Naziszene hat der Kampfsport bundesweit stark an Bedeutung gewonnen. Auch der III. Weg ist seit Jahren Teil dieser Entwicklung. Die „AG Körper und Geist“, erkennbar am Wolfskopf im Logo,ist aus den Aktivitäten von Parteikadern im Kampfsport entstanden. Die Arbeitsgruppe ist eine formale Struktur der Partei, die für eine gesunde und wehrhafte Lebenseinstellung steht. Außerdem bietet das Sportangebot einen Ausgleich zu theoretischen Schulungen und Propagandaarbeit.
Im Stützpunkt Berlin ist ein Großteil der Mitglieder im Kampfsport aktiv. Regelmäßig treffen sich die Aktivist*innen für gemeinsame Kampfsporttrainings. Bilder im Internet zeigen Mitglieder der NRJ bei internen Turnieren oder Trainings auf Berliner Sportplätzen. Antifaschistische Recherchen konnten auch eine Anreise von zahlreichen Aktivisten des Berliner Stützpunktes zur „European Fight Night“ in Ungarn im Mai 2023 feststellen. Das Ziel dieser Aneignung von Gewaltkompetenz ist die Vorbereitung auf gewaltsame Übergriffe auf politischen Gegner*innen und den herbeigesehten Tag des politischen Umsturzes.
Der dritte Schwerpunkt der Partei ist die öffentliche Raumnahme. Diese erfolgt auf verschiedenen Ebenen. Zumeist handelt es sich um kurze Aktionen, die anschließend medial verwertet werden. Dies beinhaltet u.a. Graffitis, Flyer und Kranzniederlegungen an Gedenkorten. Demonstrationen und Kundgebungen vom III. Weg sind in Berlin hingegen seit dem bundesweiten Aufmarsch 2020 nicht beobachtet worden. Dies ist wahrscheinlich die Folge der starken Gegenproteste bei ihrem letzten Versuch in Hohenschönhausen. Der III. Weg umgeht das Problem, dass eigene öffentliche Veranstaltungen schwer durchführbar sind, indem sich anderen rechten Protesten angeschlossen wird. In der Vergangenheit war dies bei Coronaprotesten der Fall und aktuell konnte dies bei den Bauernprotesten beobachtet werden. Die Veranstalter solcher Proteste haben häufig ein geringes Interesse daran, Neonazis von ihren Demonstrationen auszuschließen, was den Aktivist*innen ermöglicht Erfahrungen auf Demonstrationen zu sammeln und gleichzeitig Kontakt zu anderen rechten Gruppen aufzubauen.
Der derzeit am stärksten wahrnehmbare Ebene der öffentlichen Raumnahme ist der Kampf gegen linke Gruppen und Strukturen. An dieser Stelle kommen die Jugendarbeit und die Aktivität im Kampfsport voll zum Tragen. Es häufen sich seit dem Aufbau der NRJ Angriffe auf Hausprojekte, Bedrohungen und körperliche Angriffe insbesondere in den Bezirken Pankow und Marzahn-Hellersdorf. Bei der Planung von Kundgebungen und Demonstrationen muss mittlerweile die Anwesenheit von bewaffneten Nazis eingeplant werden, die sich um Versammlungen herumbewegen. Bei Veranstaltungen gegen den III. Weg besteht ebenfalls eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass sich Neonazis im jeweiligen Kiez bewegen. Dieses Vorgehen hat offensichtlich das Ziel linke Strukturen zu schwächen oder zu zerschlagen.
Ideologie
Nach den vorangegangenen Erläuterungen sollte klar sein, wie der III. Weg entstanden ist und welche strategischen Vorgehensweisen die Partei in Berlin verfolgt. In diesem Abschnitt stellen wir nun dar, was die Partei im Innersten zusammenhält. Dafür ist ein kurzer Blick in die Entstehung des III. Wegs zielführend. Entstanden ist er aus einem Richtungsstreit der NPD in Rheinland-Pfalz. Der langjährige Vorsitzende des III. Wegs Klaus Armstroff verlor damals als Teil der völkischen Strömung innerhalb der NPD einen Machtkampf gegen den subkulturellen Flügel der Partei. Nach dem folgenden Austritt des völkischen Flügels gründeten sie den III. Weg.
Grundlage für eine völkische Weltanschauung ist die Aufteilung der Menschen in verschiedene Völker, denen sie aufgrund ihrer genetischen Vorfahren angehören würden. Für Menschen mit einer völkischen Weltanschauung ist außerdem das Wohl des Volkes der Maßstab für die eigenen Handlungen. Eine eigene Art zu leben, die dem angeblichen Volksgeist widerspricht, wird genauso abgelehnt wie Weltanschauungen, die sich anhand von der ökonomischer Stellung in der Gesellschaft oder auch kulturellen Lebensweisen ableiten. Schließlich ist man Teil eines Volkes und kann nur die dem Volk eigenen kulturellen Traditionen ausüben und ist seinen Volksgenoss*innen gegenüber zuerst zur Solidarität verpflichtet. Das Volk ist dabei mehr als die Summe seiner Teile. Es wird dem Volk ein stark esoterischer Volksgeist zugeschrieben, den es zu bewahren gilt. Die Abwehr von volksfremden oder volkszersetzenden Elementen ist deshalb eine wichtige Aufgabe der Volksgenoss*innen.
Das deutsche Volk wird laut dem III. Weg durch verschiedenste äußere und innere Feinde bedroht. Das wohl bekannteste Feindbild ist die Volkszersetzung durch die Vermischung mit anderen Völkern. Doch auch nur die Anwesenheit von anderen Völkern auf dem Gebiet des eigenen Volkes wird als Bedrohung gesehen. Es überrascht daher wenig, dass der thematische Schwerpunkt des III. Wegs eine rassistische Ausgrenzung von Migrant*innen ist. Auch der Kapitalismus, die Umweltzerstörung und der Feminismus werden als Bedrohungen für das deutsche Volk erkannt und bekämpft. Feminismus greife durch die gewünschte Emanzipation von Frauen das auf die Fortpflanzung ausgerichtete Geschlechterdenken des III. Wegs an. Transpersonen, sowie Personen, die sich außerhalb der Zweigeschlechtlichkeit sehen, würden ebenfalls die Fortpflanzung bedrohen und stellen außerdem kulturelle völkische Traditionen infrage. Die Ablehnung von sexuellem Begehren außerhalb einer Beziehung zwischen Mann und Frau folgt den selben Mustern.
Der Kapitalismus wird ebenfalls wegen seiner volkszersetzenden Wirkung kritisiert und nicht wegen der aus ihm enstehenden Ungleichheit und der Ausbeutung eines großen Teils der Bevölkerung. Der III. Weg positioniert sich weltanschaulich klar außerhalb von Kapitalismus und Kommunismus. Die Zahl „III“ im Namen soll einen dritten Weg daneben verdeutlichen, den „Deutschen Sozialismus“. Dabei ist die eigene Kapitalismuskritik recht oberflächlich. Im 10-Punkte-Programm der Partei wird beispielsweise eine Verstaatlichung sämtlicher Schlüsselindustrien gefordert. Der Kapitalismus wird als grundlegend krisenhaft erkannt, allerdings kann das Ziel der Partei eher als eine Art Staatskapitalismus bzw. eine nationale Wirtschaft für die Interessen des deutschen Volkes verstanden werden. In den online veröffentlichten Texten wird der Kapitalismus vor allem als Motor der Individualisierung der Gesellschaft begriffen, der eine gemeinschaftliche Lebensweise gegenübergestellt wird. Nicht Ausbeutung und Ungleichheit seien das Problem im Kapitalismus, sondern die Individualisierung der Gesellschaft.
Diese auf das Volk ausgerichtete Weltanschauung ist auch Grundlage für den Berliner Ableger der Partei. Die Vielzahl an Wanderungen zur Gemeinschaftsbildung, der Kampfsport als Verteidigungsmöglichkeit für Volksgenoss*innen und die verteilten Flyer gegen Asylbewerber*innen und die „kranke LGBTQIA+ Ideologie“ folgen alle der gewünschten Erhaltung des Volksgeistes. Es ist aber auch notwendig, dass sich die völkische Weltanschauung immer wieder neu erfindet. Während völkische Nazis vor vierzig Jahren Rapmusik kategorisch ablehnten und Subkulturen oder anderen Kulturen gegenüber feindlich auftraten, wird heute sicherlich kaum kritisiert werden, dass die NRJ im neuen Jahr dem amerikanischen Sport Bowling fröhnt, Graffities sprüht oder dass aktionsorientierte Nazis in ihrem Kleidungsstil häufig den autonomen Stil übernehmen. Denn die kitschige Sprache von Mut, Tugend und Opferbereitschaft soll wie die Konstruktion einer deutschen Gemeinschaft aus mehreren tausend Jahren europäischer Geschichte nur davon ablenken, dass es ein Volk im Sinne des III. Wegs nicht gibt.